Abschlussarbeit zur Tagesmutter-Qualifizierung

 

Bindungsaufbau durch beziehungsvolle Säuglingspflege in der Kindertagespflege

 

- das Modell von Emmi Pikler -

 

 

1. Einführung

 

1.1 Was ist Bindung

Bevor ich erklären kann, wie es Emmi Pikler schafft und wir es schaffen können, durch ihre besondere Methode eine Bindung zwischen sich bzw. zwischen uns als Tagespflegepersonen und dem (Tages-) Kind aufzubauen, bedarf es zunächst einer Definition des Wortes „Bindung“

 

Als „Bindung“ bezeichnet man das dauerhafte emotionale Band zwischen zwei Menschen.

 

Im „Konzept der Bindung“ versucht man die Entstehung und die Wirkung der wichtigsten, tiefgreifensten emotionalen Beziehungen zwischen zwei Menschen zu erklären.

 

1.2 rechtliche Grundlage

Gemäß § 22 SGB VIII und § 13 KiBiZ sollen Tageskinder in Kindertagespflegeeinrichtungen im sozialen, emotionalen, körperlichen und geistigen Bereich gefördert werden.

 

Ohne nähere Erläuterungen ist eindeutig, dass Bindung mindestens in den sozialen und emotionalen Bereich fällt.

 

Somit ist der Bindungsaufbau ein grundlegendes Element der Kindertagespflege.

 

2. das Modell von Emmi Pikler

 

2.1 Warum nicht einfach schnell mal wickeln?

Stellen Sie sich einmal vor, Sie lebten in einer Welt voller Riesen, plötzlich sind Sie dort gelandet, niemand hat Sie darauf vorbereitet. Sie können sich auch nicht mehr selbständig fortbewegen oder gar verbal verständlich machen. Niemand spricht ihre Sprache! Das einzige was Sie können ist da liegen und darauf warten, dass jemand ihre Rufe nach Essen, Trinken und Hygiene richtig interpretiert.

 

Was meinen Sie, wie fühlen Sie sich? Darüber muss man nicht lange nach denken, oder?

 

Einsam. Hilflos. Ausgeliefert.

 

Aber mehrmals täglich kommt einer dieser Riesen, packt Sie kommentarlos, grob mir seinen Pranken (sie sind etwa so groß wie Ihr ganzer Rücken), befördert Sie woanders hin. Dort liegen Sie dann auf einer kalten sterilen Unterlage. Er reißt Ihnen die Kleidung vom Leib, macht sich an Ihrem Körper zu schaffen. Sie hoffen, dass es bald vorbei geht, aber Sie wissen, bald ist es wieder soweit…

 

Ich brauche nicht fragen, welches Wort uns dazu einfällt…

 

Darum nicht einfach schnell mal wickeln!

 

2.2 Eine Hülle aus Stimme und Berührungen – Bindung entsteht

Emmi Pikler hat, und dafür können wir alle nur dankbar sein, erkannt, dass Säuglinge in einer Welt von Riesen ebensolche Gefühle haben. Sie hat sie als eigenständige vollständige Person erkannt. Emmi Piklers Ziel war es immer, dem Säugling zu Entspannung und Wohlbefinden und Ausgeglichenheit zu verhelfen. In Dokumentationen über Ihr Kinderheim Loczy ist eindrucksvoll belegt: Das hat sie geschafft. Aber wie?

 

Emmi Pikler nennt die Zeit der Körperpflege, des Wickelns und des Fütterns „Qualitätszeit“. Ich finde dies verdeutlicht in einem Wort, das ist Zeit die wir nutzen können und müssen!

 

Ein Säugling verbringt den allergrößten Teil seines jungen Lebens nur mit Schlafen und dieser Pflegezeit, dieser Qualitätszeit. Gestalten wir diese also wunderbar, so erfüllend wie möglich.

 

Packen wir einen Säugling nicht mir groben Händen! Nein, sprechen wir ihn mit seinem Namen an und sagen ihm was wir vorhaben. Ich sage zu meinem Tageskind „Martin, ich hebe Dich jetzt hoch und dann bringe ich dich zum Wickeltisch.“

 

Martin heißt im wirklichen Leben natürlich anders und ist auch schon etwas älter als ein Jahr, aber Emmi Piklers Grundsätze wirken hier Wunder.

 

Martin ist in meiner Großtagespflege noch nicht wirklich „angekommen“ und dazu bin ich dort auch noch neu. Meine Kolleginnen sagen, Martin schreie viel, sobald es an der Tür klingelt oder jemand den Raum verlässt oder betritt. Oder auch wenn er sich „zu wenig beachtet“ fühlt. Aber Martin und ich versuchen jetzt zusammen Meister im „Piklern“ zu werden.

 

Sobald Martin mir die Arme entgegen streckt, nehme ich ihn auf oder inzwischen meist an die Hand (er beginnt zu laufen) und wir gehen gemeinsam in den Wickelraum. Ich habe meine Kolleginnen gebeten (sie wissen um mein Klausurthema) Martin und mir diese individuelle Zeit zu gönnen und so werden wir nicht gestört und lassen uns auch nicht ablenken.

 

Im Wickelraum setze ich ihn auf den Wickeltisch und erzähle ihm zunächst, dass ich jetzt nur für ihn Zeit habe, dass er jetzt Mittelpunkt steht. Dabei streiche ich sanft über sein Köpfchen oder über seine Beine. Ich versuche ihn mit meinen Blicken, meiner Stimme und mit meinen Berührungen in eine warme Decke zu wickeln, so wie man einen Säugling puckt.

 

Er lächelt oder beginnt freudig zu glucksen. Prima, wir sind bereit!

 

Eigentlich wickeln wir Martin als Team, Martin ist mein Teampartner. Ich frage Ihn „magst Du Dich hinlegen, damit ich Dir die Hose ausziehen kann?“ und er legt sich hin. Ich erkläre ihm, dass ich jetzt seine Hose öffne. Mitlerweile hebt er dann schon selbständig den Po, damit ich die Hose herunter streifen kann und versucht an seinem Body die Knöpfe aufzuziehen. Ich unterstütze ihn dabei, so viel wie nötig, so wenig wie möglich.

 

Die ganze Zeit schauen wir uns an und ich berühre ihn sanft. Je nach dem wozu wir gerade Lust haben, spielen wir z.B. ein bisschen „Stinkefüße“ oder „wo ist der Bauch?“. Er zeigt mir was er möchte, in dem er mir besonders gerne, seine Stinkefüße entgegen streckt.

 

Jede meiner Handlungen kündige ich Martin an. Ich weiß, er mag die kühlen Feuchttücher nicht so gerne an seinem Po und leider klappt es noch nicht diese „warm zu stellen“. Also kündige ich ihm an, dass die Tücher etwas kühl sind und zeige ihm auch eins. Ich warte kurz bis ich den Eindruck habe, dass er sich darauf vorbereitet hat. Mit dieser Ankündigung reagiert er wesentlich gelassener als vorher, als ich das noch nicht tat.

 

Genauso kooperierend und im Team ziehen wir Martin wieder gemeinsam an. Ich lasse ihn entscheiden, welche Socke er zuerst anziehen möchte und welches Hosenbein zu erst übergestreift wird. Er zeigt mir schon, welches Füßchen dran ist.

 

Die ganze Zeit über sind wir in einem Dialog, wir verstehen uns, lassen uns auf einander ein.

 

Sind wir fertig mit dem eigentlichen wickeln nehmen wir uns noch etwas Zeit für eine Unterhaltung auf dem Wickeltisch. Er liebt es wenn er mit seiner Nase meine anstupsen darf und wir uns tief in die Augen schauen.

 

Irgendwann beschließen wir beide, dass wir wieder Lust haben mit den anderen Kindern zu spielen.

 

Ich genieße diese Situationen sehr, mich macht es jedes Mal glücklich, wenn ich meinen Tageskindern auf diese Weise vermitteln kann:

 

Du bist liebenswert!

 

Ich respektiere Dich!

 

Und ich hoffe, ich kann ihnen so zu einer positiven Einstellung zu ihrem Ich und ihrem Körper verhelfen, so dass sie ein gesundes Selbstbewusstsein entwickeln können.

 

Schön finde ich die Momente, in denen Martin, weil er zum Beispiel die Türklingel hört, doch noch einmal anfängt zu weinen. Dann spreche ich ihn ruhig, mit sicherer Stimme an, auch quer durch den Raum, fange seinen Blick ein und es scheint als knüpfe sich ein Band zwischen unseren Blicken und man merkt ihm an, seine Anspannung löst sich. So wird sein Weinen immer kürzer und seltener.

 

Ohne mir verbal auf die Schulter klopfen zu wollen, meine Kolleginnen sagen, wenn ich da bin, ist Martin viel ruhiger, er schreit weniger, ist einfach ausgeglichener.

 

3. Pflegesituationen als Bi(n)(l)dungschance

Zum Abschluss möchte ich mich noch kurz diesem Wortspiel, das mir durch einen einfachen Schreibfehler auffiel, widmen.

 

Denn Bindung kann soviel mehr, als ein Kind quer durch einen Raum zu beruhigen.

 

3.1 Lernen im Allgemeinen

Nur wer sich in seiner Umgebung sicher fühlt und entspannt ist, kann offen sein für Neues, kann auf andere Menschen oder wie mein Martin, auf die anderen Tageskinder zu gehen und mit ihnen in Interaktion treten.

 

3.2 Wo ist der Bauch?

Mein „Stinkefüßchen“- und „Wo ist der Bauch?“-Spiel hat ganz nebenbei den Effekt, dass Martin seinen Körper kennen lernt. Ihn als Teil seiner selbst erfährt und die Grenze zum Nicht-Ich kennen lernt.

 

3.3 Respektvoller Umgang

Mein respektvoller Umgang mit Martins Körper, mein Bitten um Erlaubnis und Entschuldigungen, sollte ich etwas für ihn unangenehmes getan haben, sollen ihm vermitteln „Dein Körper gehört Dir“, „Nur Du entscheidest was mit Deinem Körper geschieht“. So versuche ich, ihn vor sexuellem Missbrauch zu schützen.

 

3.4 „Ich kann das schon“

Wie unwiederbringlich ist der Moment, wenn ein Kind es zum ersten Mal schafft, sich seine Socke alleine über den Fuß zu ziehen. Wie groß ist sein Stolz etwas alleine geschafft zu haben? Mit jeder für mich Kleinigkeit, die Martin zu unserem gemeinsamen Wickeln beitragen kann, wächst sein Stolz, sein Selbstbewusstsein und damit auch sein Mut etwas Neues zu wagen.

 

Zum Beispiel die ersten freien Schritte…

 

Bald ist es soweit...